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Erkenntnisse der Beschäftigtenbefragungen NRW -

Psychische Belastungen und Beanspruchungen vor und während der Corona-Pandemie

Krauss-Hoffmann, P., Brauner, C., Schüßler, L., Keller, M. & Seiler, K. (2022). Psychische Belastungen und Beanspruchungen vor und während der Corona-Pandemie - Erkenntnisse der Beschäftigtenbefragungen NRW. In: Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit, Transfer von Sicherheit und Gesundheit, 22. Workshop des Fachverbandes Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit, 2022 (Asanger Verlag GmbH), S. 337-340.

Kennzeichen der modernen Arbeitswelt angesichts einer zunehmenden Digi-talisierung, Globalisierung und Tertiärisierung (Seiler, Krauss-Hoffmann & Brauner, 2021) sind u. a. Flexibilisierung, höhere Verdichtung und stetig veränderliche Anforderungen. Vor dem Hintergrund dieser sich wandelnden Arbeitswelt hat die Corona-Pandemie zusätzlich Lebens- und Arbeitsbedin-gungen beeinflusst: Merkliche Veränderungen betreffen beispielsweise pan-demiebedingte Arbeitsausfälle und Arbeitsplatzverluste, weiterhin strenge Hygienemaßnahmen oder das vermehrte Arbeiten von zuhause (Bookmann, König, Laub, Becker, Hofmann, Kennel & Spies, 2021), das häufig auch mit anderen ergonomischen Rahmenbedingungen, fließenden Grenzen zwischen Arbeit- und Freizeit und einer stärkeren Vereinzelung einhergeht (Mojtahedzadeh, Rohwer, Lengen, Harth & Mache, 2021). Zusätzliche Vereinbarkeitserfordernisse durch Homeschooling und Kinderbetreuung allgemein wurden für viele Familien ebenfalls häufig zur Belastungsprobe (Kohlrausch & Zucco, 2020).

Überdies belastend und beanspruchend sind weitere lebenseinschneidende Veränderungen durch die Pandemie wie beispielsweise Sorgen um Leib und Leben oder die wirtschaftliche Existenz, nachhaltige Gesundheitseinschränkungen oder Verluste von Bezugspersonen (Brakemeier, Wirkner, Knaevelsrud, Wurm, Christiansen, Lueken & Schneider, 2020). Auch der pandemiebedingte Wegfall von Ressourcen und Erholungsmöglichkeiten kann das Wohlbefinden beeinträchtigen, weil Belastungsauswirkungen nicht gemindert werden können.

1. Methodik

Die wiederkehrend angelegte Beschäftigtenbefragung NRW des LIA.nrw erfasst seit 1994 in Telefoninterviews die Sicht der Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen auf verschiedene Aspekte ihrer Arbeit. In der Beschäftigtenbefragung NRW 2021, die zwischen April und Juni 2021 durchgeführt wurde, lag der Schwerpunkt auf dem Arbeiten unter Pandemiebedingungen. Dabei werden die Daten gewichtet, sodass die Befragungen repräsentativ für Beschäftigte in Nordrhein-Westfalen sind. Ausführliche Informationen zur Methodik und dem Fragenprogramm der Befragungen 2018/2019 sowie 2021 stehen online zur Verfügung (Magdanz, Liljeberg, Brauner, Keller, Risse & Krauss-Hoffmann, 2022; Keller, Risse, Brauner & Krauss-Hoffmann, 2021). Fokus des vorliegenden Beitrags ist die Betrachtung von psychischen Belastungen und Beanspruchungen auf Grundlage der Beschäftigtenbefragungen 2018/2019 (n = 2.001) und 2021 (n = 2.027), die überwiegend auf dem Report des LIA.nrw zur Beschäftigtenbefragung NRW 2021 beruht (Brauner, Keller, Adamek, Krauss-Hoffmann & Seiler, 2022).

2. Ergebnisse

Gemäß der in der DIN 33405 verwendeten Unterscheidung von Belastungen als objektiven, äußeren Einflussgrößen und Beanspruchung als subjektiv wahrgenommene Auswirkung im Individuum werden im Rahmen der Beschäftigtenbefragung NRW sowohl arbeitsbedingte Belastungen als auch Beanspruchungen erfasst. Die Top 3 der genannten Belastungen sind dabei Multitasking (91 %), Umgang mit Computern und Telekommunikationsmitteln (90 %) und Arbeiten unter hohem Zeitdruck (86 %).

Abbildung 1: Top 10 arbeitsbedingter Belastungen (Beschäftigtenbefragung NRW 2021; 2.021 ≤ n ≤ 2.027)

Im Vergleich der Belastungen und Beanspruchungen im Zeitverlauf zeigt sich insbesondere bei verschiedensten psychischen Faktoren ein deutlicher Anstieg wie auch bei einseitigen Bewegungsabläufen und körperlichen Zwangshaltungen (vgl. Tabelle 1). Eine besonders deutliche Zunahme ist im Hinblick auf das pandemiebedingte Fehlen sozialer Kontakte zu verzeichnen. Diese Entwicklungen sind auch vor dem Hintergrund eines enormen Homeoffice- bzw. Telearbeitsbooms zu interpretieren: So arbeiten im Frühjahr 2021 knapp vier von zehn Beschäftigten (39 %) von zuhause – damit hat sich der Anteil im Vergleich zu 2018/2019 (14 %) fast verdreifacht. Überwiegend wünschen sich die Beschäftigten eine Fortführung der Arbeit von zuhause in Hybrid-Modellen (vgl. Brauner et al., 2022).


Diff.: Veränderung der jeweiligen Arbeitsbedingung in Prozentpunkten im Vergleich zu 2018/2019 (gewichtet)Belastung (immer/ häufig/manchmal/ selten)Beanspruchung (stark/ ziemlich/etwas)
% 2021Diff.% 2021Diff.
Arbeiten unter hohem Zeitdruck86 %+772 %+10
Verschiedene Aufgaben gleichzeitig erledigen - Multitasking91 %+472 %+12
Wenig durchdachte Arbeitsabläufe70 %+756 %+10
Umgang mit Computern oder Telekommunikationsmitteln90 %+953 %+11
Konflikte mit Kolleg*innen68 %+651 %+9
Einseitige Bewegungsabläufe oder körperliche Zwangshaltungen63 %+751 %+4
Ungünstiges Führungsverhalten61 %+251 %+4
Umstrukturierungs-/ Neuorganisationsmaßnahmen76 %+847 %+8
Konflikte mit Kund*innen oder Patient*innen65 %+746 %+6
Routineaufgaben, eintönige Arbeit79 %+738 %+4
Fehlende soziale Kontakte38 %+1629 %+17

Tabelle 1 Belastungen und Beanspruchungen mit signifikanter Zunahme im Zeitverlauf (Beschäftigtenbefragungen NRW 2018/2019 und 2021; 2.020 ≤ n ≤ 2.027)

Auch mit Blick auf Beeinträchtigungen des Wohlbefindens zeigt sich die Relevanz psychischer Faktoren: So leiden insbesondere viele Beschäftigte in den vergangenen 12 Monaten immer oder häufig neben Rücken- oder Gelenkbeschwerden (31 %) unter Schwierigkeiten beim Abschalten (23 %), Erschöpfung (21 %), Kopfschmerzen (18 %), Schlafstörungen (17 %) sowie Lustlosigkeit und dem Gefühl des Ausgebranntseins (16 %).

Als eine Auswirkung der Pandemie geben acht von zehn Beschäftigten (80 %) an, dass das Thema Arbeitsschutz und Gesundheit in ihrem Arbeitsbereich mehr Aufmerksamkeit erfahren hat und 90 Prozent dieser Beschäftigten wünschen sich, dass dies auch zukünftig beibehalten wird. Neben dem betrieblichen Arbeitsschutz, der vertreten durch verschiedenste Verantwortliche im Betrieb im Zuge der Pandemie sichtbarer geworden ist (vgl. Brauner et al., 2022), kommt im Hinblick auf präventive Ansätze auch der betrieblichen Gesundheitsförderung eine wichtige Rolle zu. Angebote zur Stärkung des sozialen Miteinanders, der psychischen Gesundheit, Stressbewältigung und Entspannung stehen 44 Prozent der Befragten zur Verfügung. Diese werden häufiger von Frauen (56 %) als von Männern (42 %) genutzt. Zudem wünschen sich 57 Prozent der Beschäftigten, die bislang nicht über diese Möglichkeiten verfügen, ein entsprechendes Angebot. Besonders häufig ist dies bei Frauen, die Sorgearbeit leisten, der Fall (68 %) – eine Gruppe, die zugleich besonders häufig (27 %) von Erschöpfung betroffen ist.

3. Fazit

Die Beschäftigtenbefragungen NRW zeigen einen erheblichen Anstieg psychischer Belastungen und Beanspruchungen gegenüber dem Vor-Pandemie-Niveau. Zudem wird seit der Pandemie verstärkt auf das Arbeiten von zuhause zurückgegriffen, das von den Beschäftigten auch weiterhin gewünscht wird, aber mit einer stärkeren Vereinzelung und Entgrenzungstendenzen einhergeht. Angesichts der zunehmenden Relevanz psychosozialer Risiken kommt der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen eine Schlüsselrolle zu. Diese erlaubt es, Risiken zu identifizieren und systematisch verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen zu ergreifen, um die Beschäftigungsfähigkeit und Gesundheit der Beschäftigten zu sichern. Gerade in kleineren Betrieben kann die vom LIA.nrw hierfür entwickelte Methode der „Moderierten Gruppendiskussion“ helfen, ins Gespräch zu kommen und betriebsspezifische, psychische Gefährdungen zu identifizieren (Baehr, Figgen & Meichsner, 2019). Bedeutsam ist zudem die Stärkung von Expertise zu psychischen Belastungen bei den Arbeitsschutzverantwortlichen im Betrieb und im Rahmen der Aus- und Fortbildung der Arbeitsschutzaufsicht. Zudem verdeutlichen die Befragungsergebnisse auch einen großen Bedarf an Präventionsangeboten zur Stärkung der psychischen Gesundheit. Profitieren können hiervon auch gerade besonders beanspruchte Beschäftigtengruppen, wie Frauen, die Sorgearbeit leisten.

Eine Literaturliste kann bei den Autorinnen / Autoren des Beitrags erfragt werden