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Wieder mal kein Feierabend?

Erkenntnisse der Beschäftigtenbefragung NRW zur Rolle der Arbeitszeiterfassung für die Entgrenzung bei der Arbeit zuhause

Brauner, C., Krauss-Hoffmann, P. & Seiler, K. (2022). Wieder mal kein Feierabend? Erkenntnisse der Beschäftigtenbefragung NRW zur Rolle der Arbeitszeiterfassung für die Entgrenzung bei der Arbeit zuhause. In: Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit, Transfer von Sicherheit und Gesundheit, 22. Workshop des Fachverbandes Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit, 2022 (Asanger Verlag GmbH), S. 329-332.

Die Corona-Pandemie löste deutschlandweit einen Homeoffice-Boom aus. So bewegte sich der Anteil der Beschäftigten, die von zuhause arbeiten, in einer Studie von Bonin, Krause-Pilatus und Rinne (2021) zwischen Februar und September 2021 zwischen 36 und 49 Prozent. In Nordrhein-Westfalen verfügten beinahe vier von zehn Beschäftigten (39 %) im Frühjahr 2021 über einen Homeoffice- oder Telearbeitsplatz, wie aus der Beschäftigtenbefragung NRW 2021 hervorgeht (Brauner, Keller, Adamek, Krauss-Hoffmann & Seiler, 2021)1. Trotz zahlreicher positiver Aspekte, u. a. einer höheren Zeitautonomie und besseren Work-Life-Balance (vgl. auch Gajendran & Harrison, 2007), stellen insbesondere verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sowie Mehrarbeit bzw. Überstunden für viele Beschäftigte eine Herausforderung bei der Arbeit in den eigenen vier Wänden dar (Boockmann et al. 2021).

Als ein Instrument für den Schutz vor Überlastung und Entgrenzung sowie für die Einhaltung von Arbeitsschutzstandards wird in diesem Kontext eine verbindliche Arbeitszeiterfassung diskutiert (Backhaus & Nold, 2022; Lott & Ahlers, 2021). So hatte auch der Europäische Gerichtshof am 14. Mai 2019 (C-55/18) geurteilt, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. In Deutschland ist dieses Urteil bislang noch nicht umgesetzt worden. Ergänzend zu weiteren Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten in bestimmten Branchen und bei bestimmten Beschäftigungsverhältnissen besteht aber schon jetzt nach dem Arbeitszeitgesetz die Pflicht, Arbeitszeiten, die über werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden hinausgehen einschließlich Sonn- und Feiertagsarbeit, zu dokumentieren (§ 16 Abs. 2 ArbZG).

Erste Untersuchungen zur Rolle der Arbeitszeiterfassung bei der Arbeit von zuhause legen nahe, dass in Ermangelung einer entsprechenden Dokumentation häufiger eine Entgrenzung und Extensivierung der Arbeitszeit zu beobachten ist. So haben Beschäftigte mit einer Vereinbarung zur Arbeit von zuhause ohne Arbeitszeiterfassung häufiger lange Arbeitszeiten und verkürzte Ruhezeiten, arbeiten häufiger am Wochenende und werden häufiger im Privatleben aus beruflichen Gründen kontaktiert (Backhaus, Stein & Entgelmeier, 2021). Ferner fällt im Homeoffice Tätigen, deren Arbeitszeiten nicht dokumentiert werden, das Abschalten von der Arbeit schwerer und sie machen mehr Überstunden (Lott & Ahlers, 2021). Eine solche entgrenzende Wirkung einer fehlenden Arbeitszeiterfassung bei der Arbeit zuhause wird auch im Rahmen der Beschäftigtenbefragung NRW 2021 betrachtet.

1 Methodik

Bei der Beschäftigtenbefragung NRW 2021 handelt es sich um eine repräsen-tative Telefonbefragung von rund 2000 Beschäftigten mit Wohn- und Arbeitsort in Nordrhein-Westfalen im Auftrag des LIA.nrw. Diese wurde etwa parallel zum Abklingen der dritten Corona-Welle zwischen April und Juni 2021 und zeitgleich zu einer Hochphase der pandemiebedingten Arbeit von zuhause durchgeführt. Im vorliegenden Beitrag werden 953 Beschäftigte mit Homeoffice- oder Telearbeitsplatz betrachtet. Weitere Details zum Vorgehen in der Befragung und das vollständige Fragenprogramm können dem Methodenbericht und Fragebogen der Beschäftigtenbefragung NRW 2021 entnommen werden (Magdanz, Liljeberg, Brauner, Keller, Risse & Krauss-Hoffmann, 2022).

2 Ergebnisse

Bei drei von zehn Beschäftigten (30 %) mit Homeoffice- oder Telearbeitsplatz wird die Arbeitszeit nicht erfasst. Eine betriebliche Arbeitszeiterfassung erfolgt bei 35 Prozent, 26 Prozent der Beschäftigten, die von zuhause arbeiten, dokumentieren ihre Arbeitszeiten selbst auf betriebliche Anweisung hin und bei weiteren 9 Prozent werden Arbeitszeiten teils betrieblich erfasst und teils selbst dokumentiert. Knapp zwei Drittel (64 %) der Beschäftigten mit Homeoffice- bzw. Telearbeitsplatz geben an, dass ihre Arbeitszeit zuhause vollständig erfasst wird. Bei denjenigen, die über eine Arbeitszeiterfassung verfügen, werden hierfür am häufigsten (69 %) digitale Arbeitszeiterfassungsgeräte bzw. auch Computer oder Apps eingesetzt.

Die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit ist bei Beschäftigten ohne offizielle Arbeitszeiterfassung nach eigenen Angaben mit 42,7 Stunden (vs. 39,3 Stunden) etwa fünf Stunden länger als wenn Arbeitszeiten betrieblich oder selbst erfasst werden (vgl. Abbildung 1). Zudem machen Beschäftigte in Ermangelung einer Arbeitszeiterfassung wesentlich mehr Überstunden (7,1 vs. 3,0) pro Woche als wenn Arbeitszeiten dokumentiert werden. Einschränkend ist an dieser Stelle allerdings darauf hinzuweisen, dass ohne eine objektive Erfassung der Arbeitszeit Befragte eher dazu tendieren, die Dauer der Arbeitszeit zu überschätzen (Robinson, Martin, Glorieux & Minnen, 2011).

Abbildung 1:Tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit und Überstunden bei Beschäftigten mit Homeoffice- bzw. Telearbeitsplatz in Abhängigkeit vom Vorhandensein einer Arbeitszeiterfassung (Beschäftigtenbefragung NRW 2021; 914 ≤ n ≤ 933)

Das Vorhandensein einer Arbeitszeitdokumentation hängt zudem auch mit dem Ausgleich von Überstunden zusammen (vgl. nachfolgende Abbildung 2). Während ohne offizielle Arbeitszeitdokumentation gemachte Überstunden nur bei 35 Prozent der betroffenen Beschäftigten mit Homeoffice bzw. Telearbeitsplatz ganz oder teilweise durch Freizeit ausgeglichen werden, können 84 Prozent der Beschäftigten mit Arbeitszeiterfassung einen Freizeitausgleich in Anspruch nehmen. Ohne Arbeitszeiterfassung werden bei 44 Prozent der Betroffenen Überstunden ganz oder teilweise nicht abgegolten, während dies bei Vorliegen einer Arbeitszeitdokumentation nur bei 12 Prozent der Betroffenen der Fall ist.

Ferner berichten Beschäftigte, die zuhause arbeiten und deren Arbeitszeiten nicht erfasst werden, eher, dass sie immer oder häufig nicht von der Arbeit abschalten können (35 %) im Vergleich zu Beschäftigten, deren Arbeitszeiten dokumentiert werden (22 %). Dass Beschäftigte auch im Privatleben für dienstliche Angelegenheiten erreichbar sind, trifft ohne Arbeitszeiterfassung auch häufiger zu (37 %) als mit Arbeitszeiterfassung (15 %).
Insgesamt decken sich diese Ergebnisse auch mit den Auskünften der Be-schäftigten dazu, welche Arbeitszeiten zuhause nicht erfasst werden, sofern eine Arbeitszeiterfassung grundsätzlich vorhanden ist. Auf die offene Nachfrage hin werden besonders häufig Überstunden, Telefonate und E-Mails sowie auch Vor- und Nacharbeiten sowie nicht projektgebundene Zeiten genannt.

Abbildung 2: Überstundenausgleich bei Beschäftigten mit Homeoffice- bzw. Telearbeitsplatz in Abhängigkeit vom Vorhandensein einer Arbeitszeiterfassung (Beschäftigtenbefragung NRW 2021; n = 638)

3 Fazit

Die Auswertungen der Beschäftigtenbefragung NRW 2021 legen nahe, dass das Vorhandensein einer Arbeitszeiterfassung mit weniger Entgrenzung und Extensivierung einhergeht, Überstundenabbau wahrscheinlicher macht und somit einen Beitrag zur Gewährleistung von Erholungsphasen leisten kann. Die Analysen verdeutlichen zudem, dass eine Arbeitszeiterfassung keine „Rückkehr zur Stechuhr“ bedeuten muss – vielmehr sind bereits jetzt digitale Arbeitszeiterfassungssysteme der Standard. Von der Erfassung der Arbeitszeit können somit auch und insbesondere Beschäftigte, die von zuhause aus arbeiten, profitieren. Gerade angesichts flexibler Arbeitszeiten kann eine Arbeitszeiterfassung bei ihnen zur Einhaltung von Schutzstandards im Hinblick auf die Arbeitszeit beitragen. Eine verbindliche betriebliche Dokumentation der gesamten Arbeitszeit (vgl. auch EuGH-Urteil C-55/18) – auch im Homeoffice bzw. in Telearbeit – stellt daher einen wichtigen Baustein zum Arbeits- und Gesundheitsschutz dar.

Eine Literaturliste kann bei den Autor*innen des Beitrags erfragt werden.

1 Die Inhalte des vorliegenden Beitrags beruhen zu großen Teilen auf dem hier genannten Report „Arbeit, Sicherheit und Gesundheit in Nordrhein-Westfalen in Zeiten der Corona-Pandemie – Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung NRW 2021“.